„Pipi machen muss man, kann man nix dafür“

Seit meinem Unfall bin ich darauf angewiesen, meine Blase manuell zu entleeren, damit sie es nicht tut, wenn ich es grad nicht gebrauchen kann.

Ich nahm es nicht immer mit Humor. Ich hatte anfangs in der Reha große Probleme mit der Umstellung, dennoch wurde mir gesagt, dass ich einer derjenigen war, die am schnellsten gelernt haben, das Kathetern mit Einmalkathetern selbstständig durchzuführen. Mir wurde übel, schwindelig und ich konnte einfach nicht hinsehen, wenn mich die Schwestern katheterisiert haben. Dennoch war mein Ziel in der Reha schnell gefasst: Ich wollte selbstständig sein, keine Hilfe benötigen. Schon gar nicht für so einfache Dinge wie auf Klo gehen. Ich konnte mich überwinden und nur so schaffte ich es, schnell wieder ein selbstständiges Leben führen.

Ich probierte auch mehrere Produkte aus, um das Optimum zu finden und das war gar nicht so einfach. Ich habe mit vielen Kathetern das Problem, dass ich nicht in die Blase komme. Ich muss stochern und manchmal mehrere Katheter verwenden. Blutungen und hoher Verbrauch waren die Folge. Ich probierte weiter und fand mein Produkt mit dem ich ohne Probleme klar komme und vor allem ohne Blut. Mir ist dadurch aber klar geworden, dass man hier nicht auf den Preis gucken kann, sondern man muss individuell schauen was für einen selbst funktioniert. Ich probierte im Laufe der Jahre immer mal wieder andere Produkte aus. Doch die Probleme waren immer noch die selben und ich blieb bei meiner Wahl. Eine Umstellung wäre einfach nicht möglich.

Zusätzlich zu den Einmalkathetern nutze ich Urinalkondome und Beinbeutel. Da ich eine schlaffe Blase habe, entleert sich diese gern mal ungewollt bei Beanspruchung meiner Bauchmuskulatur. Also beim Sport, beim Husten, Niesen, ja sogar beim Lachen. Keiner will sich bei einem guten Witz in die Hose machen. Das sollte jedem klar sein. Ich habe über die Jahre ein funktionierendes System für mich gefunden. Ich kathetere 4-8 mal am Tag. Die Schwankungen sind normal, denn ich trinke nicht jeden Tag Bier, nicht jeden Tag Kaffee, auch schwitze ich nicht jeden Tag gleich viel und trinke nicht die selbe Menge Wasser. Nachdem ich meine Blase entleert habe, ziehe ich ein Urinalkondom über und verbinde es mit dem Beinbeutel. So kann ich mir sicher sein, dass ich weiter mein aktives Leben führen kann, ohne ständig Angst haben zu müssen, dass sich gleich ein dunkler Fleck im Schritt meiner Jeans befindet und den ganzen Plan des Tages ändert. Ich brauche mit dieser Nutzung also immer genau so viele Urinalkondome wie Katheter. Eine erneute Nutzung des Kondoms ist nicht möglich, den Katheter durch das Kondom zu führen wäre unhygienisch. Das alles wurde mir aber schon vorgeschlagen.

Die Krankenkasse zahlte das anstandslos ein paar Jahre, doch dann fingen sie immer wieder an zu kürzen. Einfach so ohne Rücksprache zu halten. Ich konnte mich dann immer wieder dagegen wehren und bekam wieder die gewohnte Menge. Ich frage die Sachbearbeiter ob sie wissen, wie oft sie pinkeln müssen im Monat. Keiner konnte mir das beantworten und ich sagte: „Sehen sie, aber ich muss es wissen, weil sie mir eine Menge vorschreiben. Das ist unmenschlich und nicht machbar!“ Nachdem die Krankenkasse dies mehrfach versuchte indem sie meinem Versorger einfach die bezahlte Menge kürzte und weder die Kasse, noch der Versorger der Meinung waren mir das mitzuteilen, wechselte ich als erstes den Versorger. Ich hatte danach einen, der sich für mich einsetzte und der Krankenkasse nicht alles durchgingen ließ. Aber die Krankenkasse machte weiter und so wechselte ich auch diese, weil ich hörte, dass meine jetzige Krankenkasse eine 99 Jahre Garantie über die bewilligte Menge vergibt. War aber offenbar nur ein Marketinggag, denn es dauerte nur anderthalb Jahre bis auch meine jetzige Krankenkasse damit anfing. Sie hat es erst mal nur auf die Urinalkondome abgesehen und garantieren mir, wenn mir ein Facharzt den Mehrbedarf bestätigt, auch die Genehmigung der restlichen Menge. So weit so gut, aber nun ist meine Gesundheit und meine Teilhabe davon abhängig, dass ich zum einen schnell einen Termin bekomme und der Arzt kompetent genug ist zu verstehen was ich brauche. Diese beiden Punkte hatte ich bei meinem Neurourologen zum Glück erfüllt. Nun dauert es aber seine Zeit bis dieses Schreiben geschrieben und verschickt ist, bis es bei der Krankenkasse bearbeitet wird und bis ich dann meine benötigte und verordnete(!) Menge an Urinalkondomen bekomme! Bis dahin sitze ich auf dem Trockenen oder besser gesagt im nassen, wenn ich Pech habe!

Diese Informationen sind natürlich durchaus persönlich und privat, aber wenn wir diese Erfahrungen nicht teilen, wird die Versorgung schlechter, einige werden ihr Potential nie ausschöpfen können und einige werden nie wissen, dass es Möglichkeiten gibt, wie auch sie ein Leben ohne diese Probleme führen können.

/David

Foto: FotoHiero / pixelio.de

Foto: FotoHiero / pixelio.de

https://youtu.be/AQUWdODPSsI

4 Kommentare

  1. Mareice sagt:

    Lieber David,
    danke für diesen Text. Ich kenne das Problem aus einem ähnlichen Kontext (Darmrohre für meine Tochter) und ebenfalls die Fragestellung: Wieviel Privates kann/muss ich erzählen? Es ist schwierig, da eine Grenze zu ziehen – vor allem, wenn man etwas bewegen möchte und anderen Menschen Hilfestellung geben möchte. Ich finde, du hast das mit diesem Text super gemacht und den richtigen Ton gefunden.
    Herzlichen Dank & liebe Grüße, Mareice

    1. datlebbe sagt:

      Hallo Mareice, man muss halt immer selbst entscheiden wie viel man preis gibt, aber ich finde das Thema wichtig. Einige Details lasse ich dann aber doch für persönliche Gespräche, bzw. bleiben privat 😉

  2. jke sagt:

    Super Artikel, nicht nur zum Welttoilettentag interessant.

  3. […] Zu unserem Alltag gehört leider auch oft die behindernde Bürokratie von Krankenkassen. Ein Beispiel beschreibt David Lebuser: Pipi machen muss man, kann man nix dafür […]

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