Besuch im Oberlinhaus

Zwischen Kritik und Begegnung – Unser Besuch im Oberlinhaus Potsdam

Wir waren Ende September mit unserem mobilen Skatepark zu Gast im Oberlinhaus Potsdam – einem großen Campus mit Schule, Kindergarten, Kirche, Werkstätten, Rehazentrum und einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung.

Das Oberlinhaus war in der Vergangenheit wiederholt in den Schlagzeilen – wegen ableistischer Gewalt gegen Bewohnerinnen und nicht zuletzt wegen des mehrfachen Mordes an vier Bewohnerinnen des Thusnelda-von-Saldern-Hauses, einer Station für Menschen mit schweren Behinderungen.

Die Täterin, eine dort beschäftigte Pflegekraft, wurde verurteilt. Erst kürzlich gab es erneut Berichte über Gewaltvorwürfe und eine Verurteilung einer Mitarbeiterin wegen Misshandlung Schutzbefohlener.

Diese Fälle machen deutlich, wie gefährlich segregierende Systeme sein können – und wie tödlich Ableismus wirkt. Auf ableismus.de/toetet werden solche Fälle dokumentiert, um sie sichtbar zu machen und Verantwortlichkeiten aufzuzeigen.

Wir haben lange überlegt, ob wir dort überhaupt ein Angebot machen wollen. Denn eigentlich setzen wir uns genau gegen solche abgeschotteten Systeme ein – für Teilhabe mitten in der Gesellschaft, nicht am Rand. Gleichzeitig glauben wir aber, dass Veränderung nur dann möglich ist, wenn man miteinander in Kontakt kommt.

Darum haben wir uns entschieden, mit einem kritischen Blick und offenen Ohren hinzufahren. Und ja, es war gut, dass wir das gemacht haben.

Wir haben gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen geskatet, miteinander gesprochen, ausprobiert und voneinander gelernt – vor allem über unterschiedliche Lebensrealitäten.

Auch der Austausch mit Mitarbeitenden und Besucher*innen war ehrlich und wichtig. Besonders wertvoll war das Gespräch mit dem Gewaltschutzbeauftragten der Einrichtung.

Mit in unserem Team war auch ein ehemaliger Bewohner mit Gewalterfahrung aus einer ähnlichen Einrichtung, der heute seit vielen Jahren selbstbestimmt in einer eigenen Wohnung lebt und mit seiner Erfahrung und kritischem Blick eine wichtige Perspektive gegeben hat. Dies war uns in diesem Kontext besonders wichtig.

Wir haben gespürt, dass es solche Begegnungen viel häufiger braucht – gerade an Orten, die stark von Trennung geprägt sind. Es braucht regelmäßige, empowernde Angebote von außen, die Selbstbestimmung fördern und den Menschen zeigen: Sie sind nicht allein – und sie gehören mitten in die Gesellschaft.

Natürlich bleiben wir kritisch. Wir fordern, dass Einrichtungen wie das Oberlinhaus sich öffnen – räumlich, strukturell und gedanklich und das System endlich reformiert wird.

Nur, wenn geschlossene Systeme Einblicke zulassen und echte Begegnungen stattfinden, kann sich etwas verändern. Bis eine große Reform kommt, können es aber auch kleine stetige Schritte zu einer Besserung sein und gerade beim Oberlinhaus, so zentral in Potsdam gelegen, direkt neben dem Rathaus, sollte es doch selbstverständlich sein, dass dort Menschen mit und ohne Behinderung sich treffen und dort gemeinsam leben, lernen, einkaufen und Kaffee trinken können.

Wir werden weiter laut bleiben, wenn es um Ableismus und Gewalt in Einrichtungen geht. Aber wir werden auch weiter hingehen, wo Begegnung möglich ist.

Denn Inklusion entsteht nicht durch Wegsehen – sondern durch echten Kontakt.

📎 Info: AbleismusTötet

AbleismusTötet ist ein Projekt, das Gewalt und Tötungen an behinderten Menschen dokumentiert und sichtbar macht. Außerdem können dort Hinweise gegeben werden, wenn euch Fälle bekannt sind.

Es erinnert an die Betroffenen, benennt strukturelle Verantwortung und lädt dazu ein, Fälle von Gewalt gegen Menschen mit Behinderung zu melden – damit diese nicht vergessen werden.

Hier die Dokumentation vom vierfachen Mord im Oberlinhaus: https://ableismus.de/toetet/de/gewaltfaelle/21-04-28-01-04-01

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